US-UNIVERSITÄTEN

Internet-2 nur für die Wissenschaft

Die Kapazitäten des Internets reichen den Forschern nicht mehr. Ame rikanische Universitäten entwickeln deshalb ein neues Netz, das allein der Wissenschaft vorbehalten bleiben soll.

Die USA rüsten sich für das 21. Jahrhundert. Unter dem Projektnamen Internet-2 werden seit einem Jahr neue Technologien für die Datenkommunikation entwickelt und Anwendungen für deren Einsatz erdacht. Abseits der chronisch verstopften Gleise des kommerziellen Internets wird eine neue, hundert bis tausendmal schnellere Schiene gelegt, und praktisch alle amerikanischen Forschungsuniversitäten sind dabei. Ziel von Internet-2 ist die Schaffung von neuen Horizonten in der Forschungszusammenarbeit nachdem Bandbreite und exklusives Nutzungsrecht des ersten Internets an den Kommerz verlorengegangen sind.

Tele-Präsenz

Die mit Internet-2 verbundenen Ambitionen erschöpfen laut der Schweizer Wochenzeitung "Die Weltwoche" längst nicht in der Schaffung von Datenbanken für Text, Bild, Ton und Video. Immersion (Eintauchen) heißt der Schlüsselbegriff, der ganz oben auf der Wunschliste akademischer, aber auch militärischer Institute steht. Er beschreibt eine Tele-Präsenz von Forschern oder Studenten an weit voneinander entfernten Lokalitäten. Experten rund um den Globus sollen in von Computern geschaffenen Labors gemeinsam Experimente durchführen oder besprechen können, ohne ihren Arbeitsplatz verlassen zu müssen. Im OP können Spezialisten welt- weit bei schwierigen Operationen assistieren, ohne eingeflogen zu werden. Und die realen Schlachtfelder der Zukunft sollen in Echtzeit als Computersimulation zur taktischen Analyse verfügbar sein.

Training für Ärzte

Angehende Chirurgen und Ohrenspezialisten machen sich an der Universität von Illinois in Chicago (UIC) anhand eines von einem Computer erzeugten dreidimensionalen Modells mit den Feinheiten des Innenohrs vertraut. Eine "Immersa-Desk" genannte Apparatur simuliert ihnen dabei akustisch und sensorisch die Eindrücke bei chirurgischen Eingriffen. "In ihrer Ausbildung trainieren Chirurgen gewöhnlich an zwanzig bis dreißig Leichen", erläutert Theodore Mason, UIC-Projektleiter des Laboratoriums für virtuelle Realität in der Medizin. Immersa-Desk ergänzt dieses Training und erlaubt ein besseres Verständnis der räumlichen Struktur des winzigen

Innenohrs. Mittels Internet-2 kann das komplexe Modell auch Studenten anderer Hochschulen zugänglich gemacht werden. Die Datenmengen solcher Anwendungsbeispiele können von herkömmlichen Internet- Leitungen nicht bewältigt werden. Einer der Gründe für die Kapazitätsgrenzen des heutigen Internets liegt in der Art und Weise, wie Daten transportiert werden. Derzeit verwendete Netzwerke und Internet-Programme sind nicht in der Lage, zwischen den Datenpaketen einer extrem wichtigen Videokonferenz und den Bits einer profanen Unterhaltung zu unterscheiden. Programme hingegen, die für Internet-2 entwickelt werden, verschaffen sich die benötigte Bandbreite mittels eines "Quality of Service" genannten Prioritätencodes, der wichtige Anwendungen weniger kritischen Datentrans- fers überordnet.

Vorsprung für Amerika

Was wichtig ist und was nicht, bestimmen dabei die mehr als einhundert an der Entwicklung von Internet-2 beteiligten Universitäten selbst. Schließlich ist das erklärte Ziel der Internet-2-Initiative die Schaffung eines weltweiten Vorsprungs in Sachen Hochgeschwindigkeits-Computernetzwerken für die amerikanische Forschungsgemeinschaft. Einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung von Internet-2 liefern die 100 Millionen Dollar, die Präsident Clinton, um ein Wahlversprechen einzuhalten, für das "Next Generation Internet" (NGI) budgetiert hat. Teil des Internet-2-Netzes sind sogenannte "GigaPoPs" (Gigabit Capacity Points of Presence), die als regionale Konzentrationspunkte dienen. Sie sollen verhindern, daß die Schnittstelle zwischen dem 622 Megabit pro Sekunde schnellen vBNS (very High-Performance Backbone Network System) und den regionalen Netzen zum Flaschenhals wird. Ein Server, der beispielsweise digitale Videoströme übertragen soll, wird vorzugsweise in einem GigaPoP installiert, wo er seine Datenflut direkt auf das vBNS übertragen kann, ohne vorher langsamere lokale Netze zu überlasten. Douglas Van Houweling, Vizevorsitzender des lnternet- 2-Rates und Dekan der Universität von Michigan, warnt allerdings vor einer Uberbewertung der Infrastruktur: "Das wirkliche Ziel von 1nternet-2 und NGI ist die Entwicklung von hochentwickelten Hilfsmitteln, die es uns erlauben, den großen Herausforderungen der Wissenschaft zu begegnen." Diese reichen von präzisen Modellen von Umweltphänomenen über Anwendungen in der Telemedizin bis hin zur Visualisierung komplexer Systeme wie Finanzmärkte oder globale

Wettersysteme. (cid)