Hessische/Niedersächsische Allgemeine

NR. 161 DIENSTAG, 15. JULI 1997

DOCUMENTA IM INTERNET

Wo der Computer Däumchen dreht

Das documenta-Programm im Internet hat für die Betrachter keinen Ort. Es gibt diesen Ort aber: bei der Firma SBK in Kassel.

KASSEL Der Computer, ein IBM BS/6000 SP 2, sieht aus wie ein kleiner Kleiclerschrank. In dem klimatisierten Raum in der Holländischen Straße 141 ist alles ruhig. "Der Rechner sitzt hier und dreht. Däumchen", sagt Carl Cunningham, Projektmanager Internet der Kasseler Softwarefirma SBK. .Natürlich dreht er irrsinnig schnell Däumchen.’ Was Cunningham mit klassischem Understatement vorstellt, ist nichts weniger als das elektronische Gehirn, in dem die documenta-Website, das Internet-Programm der docu- menta X "lebt". Alle Zugriffe auf die Website, ob aus Kassel oder Neuseeland, laufen bei diesem (von IBM gesponserten) Rechner ein und werden hier verarbeitet. Bisher wurden seit Aufbau der Website im März bereits rund (6,5 Millionen Zugriffe, sogenannte,,Hits", gezählt. Was aber nicht gleichbedeutend ist mit Website-Nutzern, da schon der Aufruf einer einzelnen Seite mit graphischen Elementen mehrere Hits verursacht. Überhaupt ist die Zählung, wieviele Menschen weltweit bisher die documenta-Website angewählt haben, schwierig. Große Online-Anbieter wie AOL oder T-online speichern häufig nachgefragte Seiten zwischen, so daß deren Kunden in Kassel gar nicht gezählt werden können. Die gesicherte Mindestzahl liegt inzwischen bei weit über 150 000, tatsächlich dürften es jedoch erheblich mehr sein. Bei alldem verwundert es zunächst, wenn Cunningham betont, die technische Abwicklung der documenta-Website stelle eigentlich kein größeres Problem dar. Auch als die Zugriffszahlen nach Eröffnung der documenta "explodierten", sei der Zentralrechner nicht annähernd an seine Kapazitätsgrenze gestoßen.

Verfügbarhalten

Sehr aufwendig und komplex war dagegen die Programmierung und der Aufbau der Seiten, die Verknüpfung zu einer Website – und jetzt deren ständiges Verfügbarhalten: elektronisches "Däumchendrehen" eben. Das vierköpfige documenta-Team von SBK, das den programmtechnischen Aufbau und den Betrieb der Website als Sponsorenbeitrag erbringt, hat nämlich nicht nur nach den Vorgaben des Internet-Kurators der dX, Simon Lamunière, die optische Gestaltung und Programmierung der Seiten übernommen, sondern auch in Zusammenarbeit mit den in der Website vertretenen Künstlern deren vielfältige Projekte umgesetzt. Auch während der documenta wird die Website ständig aktualisiert und ausgeweitet. Das kaum mehr übersehbare Programm umfaßt inzwischen über 3500 Einzelseiten. Inzwischen wurde bereits die Update-Version 4.0 installiert – wie immer "bei laufendem Betrieb’. Holger Müller, der die Website maßgeblich konzipierte und dazu auch noch die Benutzerführung entwarf, betont vor allem die Eigenständigkcit des Projekts gegenüber der documenta-Ausstellung. Ein elektronischer Katalog sollte die dX-Website. gerade nicht sein. Sondern ein in strenger Ästhätik gestalteter eigenständigerTeil der dX, der – neben einem Informationsangebot. – vor allem als Ort der Kunst im Internet erscheint. Und ein Abenteuer für jeden, der mit seinem Computer die Website http://www.documenta.de anwählt.

VON WERNER FRITSCH