SCHULEN

Die Eltern sind überall dabei

Internet macht’s möglich. Nun können Eltern ihre Sprößlinge auch in der Schule überwachen.

SAN FRANCISCO . Wenn Marcia Zigrang im nächsten Jahr ihren jüngsten Sprößling in die Vorschule schickt, wird es ihr leichter fallen als bei ihren beiden älteren Kindern. Denn anders als damals kann die berufstätige Amerikanerin künftig auch dann ein Auge auf den Nachwuchs werfen, wenn sie mehrere Kilometer entfernt im Büro an ihrem Schreibtisch sitzt. Alles, was sie braucht, sind ein Computer mit Internet- Zugang, ein Benutzername und ein Paßwort. Ein paarmal geklickt, und schon erscheint Klein- Johnny beim Malen, Spielen oder auch Lunchen mit seinen Klassenkameraden auf dem Schirm. "Cathy’s Kids CIub" im südkalifornischen Tustin bei Los Angeles heißt die Vorschule, die Eltern ab November die Möglichkeit zur "Cyber-Überwachung" ihrer Kleinen geben wird. In allen sieben Klassenzimmern und auf dem Spielplatz werden zur Zeit Kameras installiert. Mütter und Väter können die gefilmten Szenen jederzeit auf einer Website sehen – in Form von Fotos, die alle paar Sekunden auf den neusten Stand gebracht werden. "Es ist schwer für mich, meinem Beruf nachzugehen und tagsüber keinen Anteil am Leben meiner Kinder zu haben", sagt Marcia Zigrang. Jetzt sei das wenigstens indirekt möglich.

Bei Eltern beliebt

"Die Eltern lieben die Idee", sagt Schulbesitzerin Cathy Sipia. Rund 125 Jungen und Mädchen im Alter von zwei bis fünf werden in der Kombination aus Kindergarten und Vorschule betreut. 12 Lehrer stehen dafür zur Verfügung. Sie mußten sich erst ein wenig an den Gedanken gewöhnen, daß der "Große Bruder" ihnen künftig über die Schulter schauen wird – meistens in Gestalt besorgter Mütter. "Aber wir haben ein gutes Team", unterstreicht Cathy Sipia. "Alle hängen an ihren Schützlingen und behandeln sie so liebevoll, wie es eben nur möglich ist. Warum sollte man also eine Kamera fürchten?" Cathy Sipia reagiert damit auf Kritiker, die meinen, daß "Spione" im Klassenzimmer von Mißtrauen gegenüber den Lehrern zeugten. "Was kommt als nächstes? Kameras, die aufnehmen, was ein Ehemann abends in der Bar treibt?" fragte zum Beispiel der Technologie-Experte Dan Levin von der kalifornischen Firma "Dataquest" in der "Los Angeles Times". Solche Vergleiche seien unsinnig, kontert Cathy Sipia. Hier gehe es nicht um "Kontrolle", sondern darum, die "Bande" zwischen berufstätigen Eltern und deren Kindern aufrechtzuerhalten. Vor allem viele Mütter fühlten sich schuldig, weil sie aufgrund ihrer Arbeit tagsüber von ihren Sprößlingen getrennt seien. Die Möglichkeit, ihre Kinder zumindest per Computer zu sehen, gebe ihnen "innere Ruhe". Tatsächlich ist Cathy Sipia nicht die erste, die auf die Idee einer Kamera-Verbindung zu den Eltern gekommen ist. So experimentieren Kindertagesstätten in mehreren Orten in New York und Georgia mit dem System. Als erste Vorschule ging "The Children’s Corner" in Ridgefield, Connecticut, im Frühjahr "online". Das private Kinderzentrum testete ein Software-Programm namens "I See You" (Ich sehe dich), das vom Unternehmen Simplex Knowledge in White Plains (New York) entwickelt worden ist und von IBM vermarktet wird. Bleibt noch eine Frage: Ist es nicht bereits für Mädchen und Jungen im Vorschulalter wichtig, daß sie ohne Eltern ein Leben entwickeln? "Ich glaube nicht, daß kleine Kinder Zurückgezogenheit gegenüber Mutter und Vater brauchen", sagt Cathy Sipia. Und was überbesorgte Eltern betreffe, die zu häufig in den Computer schauen könnten: "Wenn sie beruf stätig sind, wird ihnen kaum die Zeit bleiben." (dpa)

VON CHRISTINE BIEGLER